Stell dir vor, du hättest so viel Geld, dass du damit problemlos die Herzenswünsche deiner besten Freundinnen erfüllen könntest. Die Sache hat nur einen Haken: Dafür musst du für sechs Monate auf einer abgelegenen Austernfarm in Irland arbeiten. Wie würdest du dich entscheiden? Philomela, die alle nur Phil nennen, steht genau vor diesem Dilemma. Dabei weiß sie kaum, was sie sich für sich selbst wünscht. Seit einem schrecklichen Autounfall, der großflächige Brandnarben auf ihrem Oberkörper und unsichtbare Spuren in ihrer Seele hinterlassen hat, kann sie sich nicht einmal mehr nackt im Spiegel betrachten. Trotz aller Selbstzweifel wagt Phil das Abenteuer, aber bereits am ersten Tag auf der grünen Insel scheint ihr Vorhaben gescheitert. Daran sind eine Verwechslung aufgrund ihres Spitznamens sowie das garstige Verhalten des Farmbesitzers schuld. Damit ist er das komplette Gegenteil der Helden in den Liebesromanen, die Phil so gerne liest. Außerdem hätte sie mit ihrem Aussehen bei dem attraktiven Badboy sowieso keine Chance. Oder etwa doch?
Ein turbulenter und humorvoller Liebesroman über die Suche danach, was Schönheit ausmacht.
Taschenbuch (388 Seiten), E-Book, KindleUnlimited Band 1 der dreiteiligen Austernfarm-Reihe. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.
1.Phil »Was hat sie sich bloß dabei gedacht?« Pia schüttelt fassungslos ihre bunte Mähne. Das leuchtende Pink und die signalroten Streifen ihrer gefärbten Haare sind der einzige Lichtblick an diesem sonst so rabenschwarzen Tag. »Für dieses übergriffige Verhalten fehlen mir die Worte.« Mir fällt auf, dass unsere dunkle Kleidung den Kontrast zu jenem Glanzlicht sogar noch unterstreicht. Trotz der schreienden Traurigkeit in mir spüre ich ein leichtes Schmunzeln an meinen Mundwinkeln zupfen. Es bedarf schon eines außergewöhnlichen Ereignisses, dass meine flippige Freundin zu so drastischen Mitteln wie schwarzer Kleidung greift, die auch noch ihre auffälligen Tattoos verdeckt. Sogar ihre Fingernägel hat sie in einem züchtigen French-Look lackiert. Ein Ereignis wie die Beerdigung meiner Großmutter. Mir läuft ein Schauder über den Rücken. »Mensch, Pia! Jetzt beruhige dich.« Isabell, meine andere beste Freundin, klopft ihr besänftigend auf den Arm. »Wir kennen doch noch gar nicht alle Details.« Erwartungsvoll sieht sie mir in die Augen. »Pfff.« Pia schnaubt undamenhaft. »War ja klar, dass du erst alle Seiten abwägen musst, statt einfach mal Partei zu ergreifen.« Isabell zieht eine Augenbraue hoch und schenkt ihr einen abfälligen Blick. Dieser soll anscheinend besagen, dass es keinen Sinn ergibt, für etwas Partei zu ergreifen, wenn man nicht weiß, worum es geht. Jetzt starren mich zwei Augenpaare erwartungsvoll an, so als ob ich den Heiligen Gral in Händen halten würde. Dabei sind diese so leer wie eine geplünderte Grabkammer im Tal der Könige. Was soll ich den beiden also sagen? Das Einzige, was ich glasklar benennen kann, ist das bizarre Gefühl, das durch mich hindurchrauschte, sobald ich das schwere schmiedeeiserne Friedhofstor ins Schloss fallen ließ. Ich schlug damit unwiderruflich die Tür zu meinem bisherigen Leben zu. Der markerschütternde, quietschende Ton verursacht mir sogar jetzt noch eine Gänsehaut. Es gibt nichts mehr auf dieser Welt, dass mich zugehörig zu einer Familie macht. Meine eben noch so warmherzige Oma Trude liegt seit heute Mittag neben den längst erkalteten Gebeinen meiner Eltern. Ich bin die alleinige Überlebende unserer kleinen Gemeinschaft, sie haben mich einfach hier auf der Erde zurückgelassen. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, stellt Oma Trude mit ihrem Testament die einzige Welt, die ich kenne, auch noch gehörig auf den Kopf. Nichts wird mehr so sein, wie es war. Mein Magen verkrampft sich und mir wird übel. Pia tätschelt mitfühlend meine Hand. Ich bin ihr dafür dankbar, denn damit lenkt sie mich von meinen dunklen Gedanken ab. Sie gibt dem Barkeeper Benny ein Zeichen, uns eine neue Runde Erdbeer-Margaritas zu bringen, anstatt mich zu bedrängen. Ich möchte ihr am liebsten um den Hals fallen. Der Vorteil einer Stammkneipe ist, dass diese Art der Kommunikation reibungslos abläuft. Im Nullkommanichts stehen frische Getränke vor uns. Meine Sinne nehmen alles um mich träge wahr. Das kann unmöglich erst unsere zweite Runde sein.Jedoch ist mir das ausgesprochen egal. Alles, was dazu geeignet ist, meine Gefühle zu betäuben, ist mir heute herzlich willkommen. Ich nehme einen weiteren großen Schluck. »Was genau musst du tun, um das Erbe antreten zu können?«, will Isabell von mir wissen. Ich fühle mich nicht in der Lage, ihr sofort zu antworten, denn der spezielle Tonfall, mit dem sie mir die Frage gestellt hat, lenkt mich ab. Den schlägt sie auch bei ihren manchmal hormonell bedingt hysterischen Schwangeren an, die sie als Hebamme betreut. Immer wenn ich in ihrer Praxis aushelfe und Zeugin so einer Isabell-Dosis werde, verdrehe ich innerlich die Augen. Es kam mir bisher ziemlich übertrieben vor. Im Augenblick allerdings hat ihre Stimme eine valiumähnliche Wirkung auf den Gefühlswirbelsturm in mir und ich kann mich zum ersten Mal in ihre Klientinnen hineinversetzen. Ich blicke auf den Stuhl neben mir, auf dem ich vorhin meine Sachen in einem wilden Knäuel abgelegt habe. So vollgestopft, wie meine Handtasche mit Unterlagen ist, die mir Notar Doktor Weber direkt nach der Beerdigung zur Durchsicht und Unterschrift mitgegeben hat, so leer fühlt sich mein Kopf an. Die Erinnerung an den Besuch bei dem alten Freund meiner Großmutter ist in eine dicke Dunstglocke gehüllt und im Moment will ich daran nichts ändern. Ich schaue wieder zu meinen Freundinnen und schüttle stumm den Kopf. »Willst du jetzt nicht darüber reden?«, bohrt Isabell nach. Pia verdreht die Augen. »Fakt ist, dass Phil die Kohle erst bekommt, wenn sie diese bescheuerte Idee erfüllt, die sich Trude in den Kopf gesetzt hat. Und das geht meiner Meinung nach schon mal überhaupt nicht.« »Es handelt sich schließlich um ein ziemlich großes Vermögen. Das gibt man nicht unüberlegt schnell weg«, setzt Isabell dagegen. »Sie wird ihre Gründe gehabt haben«, ergänzt sie wie selbstverständlich mit einem Schulterzucken. »Willst du mich verarschen?« Entgeistert dreht sich Pia zu Isabell und starrt sie funkelnd an. »Phil ist Trudes einzige lebende Verwandte. Nach dem ganzen Scheiß, der Phil passiert ist, sollte ihr letzter Wunsch darin bestehen, dass ihre Enkelin das Leben in vollen Zügen genießt. Stattdessen schickt sie diese als Arbeitssklavin in ein Kaff am Ende der Welt.« Isabell kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Phil übernimmt mit dem Antritt des Erbes eine erhebliche Verantwortung. Da ist es wohl nicht zu viel verlangt, wenn sich unsere Freundin vorher ein paar Gedanken macht, wie ihr zukünftiges Leben aussehen soll«, presst sie hervor. »Und der richtige Ort dazu ist weit weg von ihren Liebsten auf irgend so einer Hinterwäldlerfarm in Irland?«, kontert Pia ohne Atempause. Isabell macht große Augen. »Jetzt kommen wir der Wahrheit offensichtlich näher. Du willst nur nicht, dass Phil wegzieht und du niemanden mehr hast, der dich aus deinen unzähligen Fehlentscheidungen rettet. Wie kannst du nur so selbstsüchtig sein?« An dem Punkt der Diskussion zwischen meinen zwei besten und einzigen Freundinnen klinke ich mich gedanklich aus. Kräftig ziehe ich an dem Strohhalm der neuen Margarita, die uns Benny gebracht hat und die meine beiden Streithähne noch gar nicht bemerkt haben. Aufgrund des Wortgefechtes von Pia und Isabell wird mir wieder bewusst, wie unterschiedlich wir sind. Trotzdem gehen wir zusammen durch dick und dünn. Wir sind wie die drei Musketiere aus dem Roman von Alexandre Dumas und der Leitspruch „Einer für alle, alle für einen“ ist für uns nicht bloß ein Sprichwort. Für mich persönlich symbolisieren die zwei Frauen Engelchen und Teufelchen auf meinen Schultern. Isabell ist die Vernünftigste und Überlegteste von uns dreien. Sie ist unser Ruhepol und eine Meisterin darin, ihr Leben im Griff zu haben. Ich beneide Isabell, weil sie genau weiß, wie die nächsten zehn Jahre ihres Lebens aussehen sollen und was ihre Ziele sind. Ich habe keine und als ich achtzehn war, hörte ich damit auf, mir einen Lebensplan zu machen, der weiter als bis zum nächsten Morgen reicht. Das Schicksal gab mir eindeutig zu verstehen, was es von meinen Plänen hielt. Plötzlich erhalte ich einen Stoß gegen die Schulter. Ein Teil des köstlichen Cocktails schwappt über den Glasrand und landet auf meiner schwarzen Stoffhose. »Entschuldigung, das ist mir wirklich unangenehm«, stammelt eine junge Frau verlegen. Eilig greift sie nach einer der Servietten auf dem unbesetzten Nebentisch und reicht sie mir. »Ich bin über meine eigenen Füße gestolpert«, erklärt sie. Ihr Gesicht hat eine tiefrote Färbung angenommen. »Tut mir leid«, beteuert sie erneut. Da ich selbst manchmal ein richtiger Tollpatsch sein kann, lächle ich sie verständnisvoll an. »Kein Problem.« »Einen schönen Tag noch«, murmelt sie kleinlaut. Ich sehe ihr nach, wie sie mit hochgezogenen Schultern in Richtung der Toilettenräume verschwindet. Das Missgeschick hat offenbar dafür gesorgt, dass ich wieder zurück in das Zentrum der Aufmerksamkeit meiner Freundinnen gerate. Isabell rümpft die Nase und wendet sich an mich. »Igitt, das klebt sicher furchtbar.« Mit der Serviette wische ich über die nasse Stelle, auf meinem Oberschenkel. »Halb so wild. Das ist gleich wieder trocken.« Wäre Isabell an meiner Stelle, dann käme dieser Vorfall einem Super-GAU gleich. Ich schmunzle. Sie ist eben Superwoman. Meine Freundin trägt stets modisch aufeinander abgestimmte und makellos saubere Kleidung in allen Lebenslagen. Es ist mir ein Rätsel, wie sie ihr tägliches Pensum an Sport und gesunder selbstgekochter Ernährung mit ihrem quirligen Alltag als freiberufliche Hebamme unter einen Hut bringt. Ich dagegen bin leicht aus meinem Alltagstrott zu bringen und brauche immer mehrere Anläufe, um wieder den gewohnten Fahrplan aufzunehmen. Kaum habe ich einigermaßen Routine im Sport gefunden, bekomme ich eine Erkältung. Wenn ich dann wieder gesund bin, kann ich mich nicht dazu aufraffen, dort weiterzumachen, wo ich ausgestiegen bin. Schwuppdiwupp werden daraus locker mal eben vier Wochen Pause. Ich schüttle den Kopf über mich. Wo kommen denn heute all diese Gedanken her? Pia tätschelt abermals in einer einfühlsamen Geste meinen Arm und holt mich erneut in das Hier und Jetzt zurück. »Alles okay bei dir? Du bist so still.« Mein Kinn beginnt zu zittern und Tränen schießen mir in die Augen. Mir wird wieder bewusst, warum wir heute hier sind. Ich beiße mir in die Zunge, damit der Schmerz mich ablenkt. In den vergangenen Tagen habe ich bereits so viel geweint, dass jetzt einfach mal Schluss damit sein muss. »Verstehe.« Pia nickt mir wissend zu. »Benny«, brüllt sie ungeniert quer durch die Kneipe. »Für uns Hübschen eine neue Runde.« Das bringt mich unverhofft zum Lachen. Meine Pia. Sie sorgt regelmäßig dafür, dass ich Spaß habe und die Leichtigkeit des Daseins nicht aus den Augen verliere. Dies führt allerdings auch dazu, dass ich mich immer wieder überreden lasse, mich in Situationen zu begeben, in die ich nie kommen wollte. Wie zum Beispiel auf einer Bühne zu stehen und Karaoke zu singen. Oder, noch häufiger, Pia aus brenzligen Umständen zu retten. Besonders ihre Poledance-Leidenschaft, die sie oft bis in die frühen Morgenstunden auslebt, hat schon für so manchen Ärger gesorgt. Ich habe den Eindruck, dass Pia ihre kleine Körpergröße durch einen ausschweifenden Lebensstil kompensiert. Sie erklärt ihr Verhalten jedoch damit, dass sie wenigstens das Recht auf ein bisschen Ausgleich in ihrer Freizeit habe, wenn sie ihren Traumberufen Maskenbildnerin und persönliche Einkaufscoachin schon nicht nachgehen könne. Ihre Arbeit als Grafikerin in einem spießigen Marketingbüro erträgt sie nach eigener Aussage nur, weil diese ihr das nötige Geld für weitere Tattoos sichert. Zugegeben, Pias Körperschmuck ist ein wahres Kunstwerk. Allerdings verkneife ich mir sie darauf hinzuweisen, dass ausgerechnet diese Hautbemalung in Verbindung mit ihrem Hang zu Bad Boys der eigentliche Grund für ihre Probleme ist. Nicht ihr langweiliger Job. Diese Art von Männern werden durch Pias hammermäßige Tattoos angezogen wie Motten vom Licht und stürzen sie regelmäßig ins Verderben. Ihr schwach ausgeprägter Selbstschutz ist in diesem Fall keine große Hilfe. Papiertaschentücher und Schokoladeneis habe ich jedenfalls immer vorrätig. Sie warten geduldig auf ihren Einsatz. Benny, der ein schwer beladenes Tablett neben mir balanciert, lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich. »So, die Damen, hier ist Nachschub. Kann ich sonst noch etwas für euch tun?« Er tauscht die vollen Gläser gegen unsere leeren. »Phil könnte etwas Aufmunterung gebrauchen. War dein legendärer Zauberstab heute schon im Einsatz?«, fragt Pia und schickt einen koketten Augenaufschlag hinterher. Echt jetzt, Pia? Sie weiß, dass ich es hasse, derart im Fokus zu stehen. Am liebsten würde ich im Boden versinken. Mit einem amüsierten Grinsen mustert mich Benny. »Der ist nur für meine VIP-Gäste bestimmt«, raunt er mit dunkler Stimme. »Welch Glück, dass du auf meiner Liste stehst.« Hilfe, kann mich jemand retten? Er zückt seinen Kugelschreiber, den er sich hinter das Ohr klemmte. In kreisenden Bewegungen lässt er ihn in Höhe seines Lendenbereichs durch die Luft wirbeln und murmelt dabei einen Zauberspruch. Isabell und Pia kichern als wären sie alberne Teenager. Mit angehaltenem Atem verfolge ich wie ein hypnotisiertes Kaninchen das Schauspiel. Benny zwinkert mir zu und steckt den Stift wieder hinter sein Ohr. Er greift in die Tasche seiner wadenlangen Kellnerschürze, die er um die Hüfte gebunden trägt, und legt ein Schokoladentäfelchen vor mir auf den Tisch. »Ich weiß ganz genau, womit ich euch Frauen glücklich machen kann.« Er haucht mir einen Kuss auf die Wange, nimmt sein Tablett und geht davon. Pia und Isabell brechen in schallendes Gelächter aus und ich schnappe nach Luft. Plötzlich verspüre ich einen unstillbaren Durst. Hemmungslos sauge ich an dem schwarzen Strohhalm meines Cocktails, als wäre es heute mein erster Zug. Nachdem sich mein Puls beruhigt hat, wickle ich voller Vorfreude das Stück Schokolade aus und lasse es mir auf der Zunge zergehen. Benny ist wirklich ein Goldstück. Meine beiden Streithähne setzen ihre Diskussion fort, so als wäre ich gar nicht anwesend. Es widerstrebt mir, mich in die Auseinandersetzung einzuklinken, denn dann müsste ich mich mit der Situation beschäftigen, in die mich Oma Trudes Tod gebracht hat. Stattdessen mustere ich lieber meine Freundinnen und suche deren Unterschiede zu mir. Ich habe weder die schlanke, große Statur wie Isabell noch so einen durch Poledance-Aktivitäten definierten Körper wie Pia. Meine Gestalt würde ich als mittelgroß und durchschnittlich beschreiben, die ausgeprägte Rundungen beinhaltet. Schmeichlerisch könnte man meine Figur entzückend weiblich nennen. Jedoch realistisch betrachtet habe ich Übergewicht, ein zu breites Becken und zu volle Brüste. Im Gegensatz zu Isabell verfüge ich nicht über den Antrieb, oder besser gesagt den Ehrgeiz, einhundert Prozent aus allem herauszuholen. Allerdings bin ich auch nicht dermaßen flatterhaft wie Pia. Ich bin zufrieden und habe aufgehört, zu träumen oder unwirklichen Zielen hinterherzujagen. Oma Trude hielt mir das regelmäßig vor. »Du bist mit deinen fünfundzwanzig Jahren zu jung, um nicht mehr vom Leben zu erwarten.« Mit dieser Aussage lag sie mir oft in den Ohren. Aber was soll ich denn Besonderes erwarten? Das Leben hat mir eindeutig gezeigt, dass es für mich aus Tod, viel Schmerzen und Zurückweisung besteht. Sobald ich mich auf etwas freue oder einen Plan mache, signalisiert es mir, dass es nichts davon hält. Also lasse ich es lieber und nehme einfach das, was sich ergibt. Meine Arbeit als Altenpflegerin erfüllt mich. Ich habe zwar kein großes Einkommen, trotzdem kann ich mir meine kleine Wohnung problemlos leisten. Da ich sehr gern Fahrrad fahre, verzichte ich auf ein eigenes Auto. Das dadurch eingesparte Geld lege ich lieber für schlechte Zeiten zurück oder investiere es in Bücher. Es reizt mich nicht, mehrmals im Jahr in den Urlaub zu fahren, und ich verspüre auch nicht die Sehnsucht nach einem Hobby, das mein Adrenalin in die Höhe schießen lässt. Was ist verkehrt daran, einfach nur einen Tag nach dem anderen zu leben? Ich stehe morgens auf, verbringe meistens erfüllende Stunden auf meiner Arbeitsstelle in einer Seniorenresidenz und freue mich, wenn ich abends oder an freien Tagen eine Tour mit dem Mountainbike machen kann. Bis vor Kurzem war ich auch noch durch die Betreuung von Oma Trude, die an den Folgen eines Schlaganfalles litt, vollkommen ausgelastet. Isabell und Pia sorgen für die nötige Abwechslung. Also warum sollte ich mit der Art und Weise meines Aufenthaltes auf der Erde nicht zufrieden sein? Nur weil ich nicht nach Höherem strebe? Und ist Zufriedenheit nicht auch eine Form von Glück? Bruchstückhaft dringen Wörter in mein Gehirn, die sich meine beiden besten Freundinnen an den Kopf werfen. Es ist für mich kaum zu ertragen. Gierig greife ich nach meinem Cocktailglas. Da es sich wie von Zauberhand geleert hat, hangle ich schamlos nach Isabells noch unberührtem. Ihr fällt das gar nicht auf. Schlagartig wird mir bewusst, dass Isabell und Pia nun die einzigen Personen in meinem Leben sind, die für mich einer Familie am nächsten kommen. Die ich allerdings verlassen soll, wenn es nach Oma Trudes Letztem Willen geht. Allein bei der Vorstellung krampft mein Herz schmerzhaft. Tränen laufen mir über die Wangen, tropfen von meinem Kiefer und vermischen sich mit dem Kondenswasser, das die Gläser auf dem dunkel polierten Holztisch hinterlassen haben. »Ach, Süße«, sagen meine Freundinnen plötzlich himmlisch vereint und springen auf. Sie ziehen mich in eine innige Umarmung. Isabell streicht mir fürsorglich über den Rücken. »War heute alles ein bisschen viel. Wir stecken dich jetzt erst mal ins Bett und wenn du wieder einen klaren Kopf hast, kümmern wir uns um die nächsten Schritte«, meint sie in einem mitfühlenden und zugleich bestimmenden Tonfall. Manchmal stört mich Isabells dominantes Verhalten. In diesem Augenblick jedoch bin ich einfach nur froh, mich fallen lassen zu können und darauf zu vertrauen, dass sie mein Leben wieder in Ordnung bringt.
Geschichte zum Buch
In den sozialen Medien fühle ich mich immer noch als Neuling. Als ich im Rahmen der Veröffentlichung meines Debütromans im November 2019 einen Instagram-Account eröffnete, war ich ziemlich überfordert. Nicht nur mit der Technik und den unzähligen Möglichkeiten wie man Posts gestaltet, sondern auch mit der Flut an Eindrücken. Von „skurril“ über „schräg“ bis hin zu „lustig“ und „tollen Mehrwert bietend“, war alles dabei. Stutzig wurde ich, als ein Account von den Followers mit Applaus für seine Natürlichkeit und Authentizität bedacht wurde. Ich fragte mich, ob so ein Auftritt in den sozialen Medien denn nicht selbstverständlich sei? Warum bekommt man für etwas Applaus, das einen gewöhnlichen Alltag widerspiegelt? Ein Vergleich mit anderen Accounts brachte mir schnell die Antwort. Und schon war der Ideenfunke für „Die Erfüllung von Wünschen“ geboren.
#Definition von Schönheit #Grenzen der Selbstoptimierung #Bodyshaming #Kein passender Filter #Selbstliebe
TRIGGERWARNUNG: Die Erfüllung von Wünschen befasst sich mit den Themen „Verkehrsunfall“, „Tod“ und „Narben“.
Besonderheit des Buches
„Die Erfüllung von Wünschen“ ist Band 1 der dreiteiligen Austernfarm-Reihe. Das Buch ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden. Band 2 erzählt die Geschichte von Liam und Linda. Band 3 erzählt die Geschichte von Braden und Pia.
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